GBH

»Gebaut wird immer, aber in Zukunft wird anders gebaut werden«

Im Interview in der Jubiläumsausgabe des Bau-Report nimmt GBH-BV Josef Muchitsch Stellung zur Zukunft der Bauwirtschaft
In Interview mit Report (+) PLUS spricht der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch, über die Veränderung der Branche in den letzten 25 Jahren, Meilensteine der Gewerkschaftsarbeit und Sozialpartnerschaft und erklärt, warum er sich über die großen und kleinen Betriebe der Branche auch in Zukunft keine Sorgen macht – sehr wohl aber über die mittelständischen Betriebe.
 
(+) plus: Der Report Verlag feiert heuer seinen 25. Geburtstag. Was hat sich aus Sicht des Baugewerkschafters in dieser Zeit verändert? Wie hat sich die Arbeit auf den Baustellen verändert?
 
Josef Muchitsch: Ich kann mich noch gut an diese Zeit erinnern. Vor 25 Jahren ist Österreich der EU beigetreten. Eine der vier Grundfreiheiten war auch der freie Zugang zum Arbeitsmarkt. Es gab das politische Versprechen, dass es Übergangsfristen geben wird, die auch für die europäische Bauwirtschaft faire Rahmenbedingungen schaffen werden. 2011 sind diese Übergangsfristen ausgelaufen.
 
Heute sehen wir, dass vieles, was in Aussicht gestellt wurde, nicht eingetreten ist. Der Arbeitsmarkt ist breiter und größer geworden. Das ist ein Vorteil für die Wirtschaft, aber von einem fairen Wettbewerb kann vor allem in unserer Branche keine Rede sein. Lohn- und Sozialdumping ist noch immer ein massives Problem.
 
 
(+) plus: Was war in dieser Zeit der wichtigste Meilenstein für die Gewerkschaft Bau-Holz?
 
Muchitsch: Ganz wichtig war die Bekämpfung der Winterarbeitslosigkeit. Wir hatten exakt vor 25 Jahren die höchste Winterarbeitslosigkeit. Deshalb haben wir begonnen, im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen Modelle zur Jahresbeschäftigung zu entwickeln. Wir haben die Untergrenze mit 35 Stunden und die Höchstgrenze mit 45 Stunden vereinbart. Gleichzeitig haben wir viele Maßnahmen vom AMS wie die Schlechtwetterregelung in die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse BUAK verlagert. Damit ist auch ein ganz neues Bewusstsein für das Thema entstanden.
 
 
(+) plus: Was sind heute die zentralen Themen?
 
Muchitsch: Ganz oben auf der Prioritätenliste steht die Bau-ID-Karte. Im Sommer haben wir grünes Licht für die Markteinführung bekommen. Im Gegensatz zu den Lösungen, die jetzt am Markt vertreten sind, handelt es sich dabei um eine elektronische Zutrittskarte für Baustellen mit tagesaktueller Abgleichung mit Schnittstellen wie Krankenversicherung, A1-Bescheinigung der Sozialversicherungen und Ähnlichem.
 
 
(+) plus: Diese Lösung wird es parallel zu den am Markt befindlichen Produkten geben?
 
Muchitsch: Ja, den Markt kann man hier nicht einschränken. Fakt ist aber, dass unsere Lösung der Mercedes im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping auf Baustellen sein soll. Wir wissen aber auch, dass wir das System kontinuierlich weiterentwickeln müssen.
 
 
(+) plus: Wie eng ist in diesem Fall die Zusammenarbeit mit dem Sozialpartner?
 
Muchitsch: Sehr eng. Aber natürlich gibt es auf Arbeitgeberseite nicht nur die großen Befürworter der Bau-ID-Karte, sondern auch Bremser. In Kombination mit dem Mitbewerber entsteht da ein Widerstand, den man nicht unterschätzen darf. Da wird im Hintergrund vieles versucht, um die Einführung zu verschleppen oder gleich ganz zu verhindern. Da wird teilweise in die untersten Schubladen gegriffen. Das ändert aber nichts daran, dass die Sozialpartnerschaft auch bei diesem Thema funktioniert.
 
Wir brauchen diese Karte und wollen europäischer Vorreiter sein. Lohn- und Sozial­dumping darf in einer digitalen Arbeitswelt keinen Platz mehr haben. Wenn es eine Zutrittskarte für das Betreten eines Flugzeuges gibt, dann sollte es doch möglich sein, dass es auch eine Zutrittskarte für das Betreten einer Baustelle gibt.
 
 
(+) plus: Stichwort: Lohn- und Sozialdumping – Die Bauwirtschaft zählt zu jenen Branchen, in denen Schwarzarbeit und Lohn- und Sozialdumping am weitesten verbreitet sind. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation und was tun die Sozialpartner dagegen?
 
Muchitsch: Es ist uns mit den Maßnahmen der letzten 25 Jahre gelungen, dass Lohn- und Sozialdumping nicht noch weiter um sich greift. Die freiwillige Arbeit, weil als Pfusch kann man das nicht bezeichnen, weil oft sauberer gearbeitet wird als bei der legalen Arbeit, hatte früher gerade im Freundeskreis Hochkonjunktur. Das gibt es natürlich auch heute noch, aber in einer weit weniger freiwilligen Art und Weise. Heute ist das ein viel stärker organisierter Schwarzarbeitermarkt geworden, wo ganze Partien angeboten werden.
 
 
(+) plus: Hier kann die Bau-ID-Karte Abhilfe schaffen?
 
Muchitsch: Die Karte ist ein Schutz für die Arbeitnehmer, damit sie wissen: wo bin ich angemeldet. Aber auch für Auftraggeber ist es eine Sicherheit, dass legale Beschäftigung vorliegt. Und die Auftragnehmer haben die Sicherheit, dass sie nicht in diesen Lohn- und Sozialdumpingstrudel geraten. Eigentlich ist es eine Win-win-Situation für alle.
 
 
(+) plus: Die Sozialpartnerschaft hat in der Baubranche immer hervorragend funktioniert. Was waren die größten gemeinsamen Errungenschaften?
 
Muchitsch: Ein absoluter Meilenstein war, das Bestbieterprinzip per Gesetz durchzubringen, auch wenn es in der praktischen Umsetzung noch deutlich Luft nach oben gibt, ebenso die Schaffung des Überbrückungsgeldes für ältere Bauarbeiter, die kurz vor der Pension stehen. Da haben wir alle an einem Strang gezogen, was auch in anderen Branchen und anderen Ländern für Aufsehen gesorgt hat. Wir sind auch das einzige Land mit einer Hitzefreiregelung, die von 35 Grad auf 32,5 Grad gesenkt wurde. Aber auch hier muss man noch an einigen Stellschrauben drehen, damit es noch mehr genutzt wird. Und der letzte große Wurf ist der dreijährige Kampf für die Grundlagen der Bau-ID-Karte.
 
 
(+) plus: Auch wenn die Sozial- partnerschaft gut funktioniert. Spätestens bei den Kollektivvertragsverhandlungen sitzt man an unterschiedlichen Enden des Tisches. Die Metaller-Gewerkschaft ist mit enorm selbstbewussten Forderungen in die Kollektivvertragsverhandlungen gegangen. Nachdem die Bauwirtschaft boomt, wie wird es die GBH aus heutiger Sicht anlegen?
 
Muchitsch: Der Unterschied zu den Metallern ist ein sehr großer. Bei uns geht es nicht nur um die Prozente, die auf den Kollektivvertrag aufgeschlagen werden. Wir verhandeln alljährlich Rahmenpakete. Da geht es um bezahlte Freizeittage bis hin zu Ganzjahresbeschäftigungsmodellen. Wir haben schon jetzt in manchen Bereichen Zweijahresabschlüsse. Natürlich gibt es Herausforderungen, wo man nicht einer Meinung ist. Aber wenn man zurückblickt auf die letzten Jahre, kann die gesamte Branche glaube ich sehr zufrieden sein.
 
 
(+) plus: Was werden die nächsten Schwerpunkte bei den Verhandlungen sein?  
 
Muchitsch: Nach der Bau-ID-Karte geht es schon um die nächsten Visionen. Da geht es vor allem um verbesserte Jahresbeschäftigung und den Kampf gegen den Facharbeitermangel. Da sind die Gespräche schon im Laufen.
 
 
(+) plus: Der Kampf gegen den Fachkräftemangel ist ein Langzeitprojekt. Die Facharbeiter fallen ja nicht vom Himmel. An welche Maßnahmen wird da gedacht?
 
Muchitsch: Hier muss ich eine Lanze für die Arbeitgeber brechen. Da wird nicht gejammert, sondern es wird wirklich versucht, aktiv gegenzusteuern und eigene Schritte zu setzen. Wir müssen neue Arbeitskräfte für die Baubranche gewinnen, gerne auch aus anderen Branchen, die wir entsprechend schulen und weiterbilden. Da haben wir starke Zugänge. Die verfügen in der Regel über Fertigkeiten, die mit entsprechendem Fortbildungsangebot äußerst gewinnbringend für unsere Branche sein können.
 
 
(+) plus: Mit welcher kurz-, mittel- und langfristigen Entwicklung der Bauwirtschaft rechnen Sie?
 
Muchitsch: Die Branche hat im ersten Lockdown bewiesen, wie flexibel sie ist, um die Arbeit fortsetzen zu können. Letztendlich sind wir in der Covid-Krise der wichtigste Konjunkturmotor. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir das Heft des Handelns selbst in die Hand genommen haben. Dafür waren wir in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsminister. Über die große Bauindustrie mache ich mir gar keine Sorgen. Die beweist auch am europäischen Markt, dass sie über ein tolles Know-how verfügt.
 
Auch um die kleinen Baumeister in den Gemeinden ist mir nicht bange, die finden ihre regionalen Aufträge. Schwierig wird es für den klassischen Mittelstand. Die müssen sich intensiv mit dem Thema der Digitalisierung auseinandersetzen und das stellt eine große Herausforderung dar. Die werden wahrscheinlich nicht darum herumkommen, sich zusammenzuschließen, um am Markt bestehen zu können. Bauen aus einer Hand erhält immer größere Zustimmung. Wer das anbieten kann, wird zu den Gewinnern zählen.
 
Generell ist die Branche mit Sicherheit auf einem guten Weg. Es wird auch in Zukunft Wohnraum und Infrastruktur gebraucht. Daran wird kein Weg vorbeiführen. Natürlich gibt es Herausforderungen, etwa weg von der Bodenversiegelung hin zur Nachverdichtung, aber da wird es Lösungen geben. Statt in die Breite wird in die Höhe gebaut werden; es wird anders gebaut, aber es wird weiterhin gebaut werden.
 
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